Das Dach

Bauen und Bewahren auf dem Lande

Am Anfang aller Häuser war das Dach. Frühe Bauernhäuser, wie sie von den alten Malern des Mittelalters gezeichnet wurden, reichten mit ihren Dächern bis beinahe zum Boden hinab. Das Dach war Schutz für die Menschen und die Tiere und musste die Wettereinflüsse auch von dem Saatgut und der Ernte fernhalten, genau wie von den Wänden des Hauses. Auch heute noch ist das Dach der Inbegriff von Schutz und Geborgenheit

Im Laufe der Jahrhunderte wurde das Dach angehoben, erst nur an den beiden Giebeln, später auch an der Traufe. Es entstanden viele Formen, die die Landschaft entscheidender prägten als der Baukörper darunter. Flachgeneigte Dächer für das Bergland, von denen an warmen Tagen nicht sofort  die darauf liegende Schneedecke abrutschen konnte, oder steile Dächer in Regengebieten, die mit Stroh gedeckt waren das schnell wieder abtrocknen konnte.

Im Dorf, wo die Häuser frei stehen, sieht man die Dächer von allen Seiten. Am Dach ist die Form der Häuser abzulesen, Größe, Höhe, Länge und Anordnung.

Heute gibt es für jeden Neigungswinkel die passenden Dachbedeckungen. Die Industrie kann diese Materialien per Bahn oder LKW an jeden Ort liefern. Wir könnten also jedes Dorf überall bauen. Oder auch überall das gleiche. Dann entstünde entweder ein heilloses Durcheinander oder graues Einerlei. Die regionale Besonderheit bliebe dann auf der Strecke.

Wenn wir das nicht wollen gibt es eigentlich nur einen Weg: Den alten Baubestand, der die landschaftlichen Eigenheiten noch am deutlichsten zeigt, soweit wie möglich erhalten. Versuchen, mit Neu- und Ersatzbauten doch wenigstens in den Umrissen die Hauptmerkmale dieser Besonderheit aufzunehmen.

Das Dach gehört auf jeden Fall zu diesen Hauptmerkmalen. die Neigung und die Firstrichtung, der Ortgang und das Gesims auf dem das Dach an den Seiten aufsitzt, die Form und der Dachüberstand, vor allem bei flachgeneigten Dächern.

Das Dach sollte man in Ruhe lassen. Die alten Bauernhausdächer haben wenige Aufbauten. was auch immer die Dachfläche unterbricht ist eine gefährliche Stelle, ein Punkt in den Wasser und Frost eindringen können. Es gibt bei alten Häusern nur einen Kamin an der höchsten Stelle des Daches, deshalb kann er kurz sein. Das lange Stück bleibt im Dach verborgen wo es nicht so schnell auskühlen kann, das verbessert den Zug. Außerdem wird so der Wassersack, diese gefürchtete Stelle zwischen Kaminwange und aufsteigender Dachfläche vermieden.

Diese grossen, ruhigen Dachflächen sind für das Dorf prägend. Das Bild wird schon durch die Masten der Stromleitungen und die Satellitenschüsseln gestört. Erdkabel hätten viele Vorteile. Aber vor allem die zu großen und unterschiedlich geformten Dachgauben zerstören die alte, ruhige Dachlandschaft der Dörfer.

Dachfenster müssen nicht groß sein. Sie lassen ja wesentlich mehr Licht hinein als die Fenster in den Hauswänden. Besser ist es nur ein Format zu verwenden. Zwei schmale Fenster lassen genau so viel Licht herein wie ein großes und man braucht keine Sparren zu zersägen. Dachfenster sollten nicht zu dicht an einer Kante des Daches sitzen. Und überhaupt sollte Blech am Haus gestrichen werden. Das ist sonst immer ein Fremdkörper

Die Zimmer im Dach sind meistens die liebenswertesten im Haus. Viele zweigeschossige Häuser auf dem Land ließen sich vermeiden, wenn man nicht aus Prestigegründen auf einem voll ausgebauten Obergeschoss bestehen würde.

Eine alte Biberschwanzdeckung strahlt unglaublich viel Leben aus. Keine Fläche bleibt unbelebt bei einem alten Haus. Dachhaut sagte man früher. Die Ziegel waren von Hand geformt und hatten Spuren der Hände die sie hergestellt haben. Wer so ein Dach besitzt sollte unbedingt rechtzeitig für Ersatzziegel sorgen, wenn irgendwo umgedeckt wird. Und Ortsvorschriften sollten verhindern das solche Schätze auf der Müllkippe landen.

In Schiefergegenden sollte man mit Schiefer decken. Wer auf schwarzen Faserzement ausweichen will sollte Platten mit Rundschnitt wählen. Und die harten Kanten mit einigen Hammerschlägen abstumpfen.

Maschinen sind zu perfekt geworden. Sie verdrängen mit ihrer Präzision die Phantasie und den Zufall. Beides gehört zum Wesen eines alten Hauses. Wer heute an einem alten Haus Verbrauchtes ersetzen muss, ergänzt nicht nur, sondern verändert. Was er an Lebendigem wegnimmt ersetzt er durch starre Präzision. Dachziegel sind so ein Beispiel. sie sind auf hundertstel Millimeter plan gepresst und exakt gleich groß. Ihre Oberfläche ist so glatt gewalzt und makellos das sich auch nach Jahren noch kein Moos und keine Flechte darauf festsetzen kann. Die Öfen heizen auf hundertstel Grad genau, es gibt keine Fehlfarben mehr. Die lokalen Ziegeleien geben auf und es bleiben nur Großkonzerne, die überallhin das gleiche liefern.

Aber es gibt noch Ziegel aus Ton. Und es gibt sie noch in Naturrot. Ohne Engobe, diese Schokoladensauce, die Ziegel zu Synthetik-Schuppen macht. Die sich nie mehr verändern. Naturrote Ziegel haben immer noch die Chance Patina anzusetzen. In Würde zu Altern. Und es gibt noch Biberschwänze, wie vor 500 Jahren. Der Ziegel, der den alten Häusern noch immer am besten steht. Der Ziegel, den Kinder zeichnen. Während man mit starren Falzdachsteinen aus Beton in Schwierigkeiten kommen kann, ist das ein gutmütiger Ziegel, der Unebenheiten ausgleicht, dicht hält, auch dort wo sich aus Altersgründen der Dachstuhl gesenkt hat. Ein idealer Ziegel also für das alte Haus.